Würdest du 1 Menschen umbringen um 1000 Andere zu retten?

Würdest du 1 Menschen umbringen um 1000 Andere zu retten?

Moral und Recht liegen unverrückbar nebeneinander. Schließlich geht es bei beiden um das „richtige“ Handeln. Da wundert es auch niemanden, dass das bekannteste Moralexperiment aller Zeiten ausgerechnet in einer Strafrechtsarbeit entstanden ist.

Dieses Gedankenexperiment aus dem Jahre 1930 hat eine moralische Frage aufgeworfen, die 44 Menschen etwa 70 Jahre später mit ihrem Leben beantworten mussten.

Heute über 20 Jahre später, sind Antworten auf diese Frage gefragter denn je. Autonome Fahrzeuge, selbststeuernde Anlagen, Pflegeroboter sind Beispiele von Technologien, die so viel Handlungsspielraum erhalten, dass sie dringend Antworten auf moralische Fragen benötigen.

Das Trolley-Problem

Eine Straßenbahn gerät außer Kontrolle. Wenn sie weiter die Schienen entlang rast, droht sie in eine Gruppe von 5 Personen zu krachen. Für diese 5 Personen wäre das der sichere Tod.

Die einzige Möglichkeit, die Katastrophe zu verhindern, besteht darin, eine Weiche umzustellen. Die Straßenbahn würde dann auf ein anderes Gleis ausweichen. Auf diesem anderen Gleis steht eine weitere Person.

Würde man die Weiche umstellen, würde die Straßenbahn auf das andere Gleis wechseln und diese andere Person überrollen.

Die Wahl besteht also zwischen den 5 Personen auf dem einen Gleis und der einen Person auf dem anderen Gleis.

Die moralische Frage lautet:

Darf die Weiche umgestellt werden und der Tod einer Person in Kauf genommen werden, um die fünf anderen Personen zu retten?

Stell dir vor, du wärst die Person, die die Weiche umstellen könnte. Würdest du es tun?

Die einfachste Antwort auf diese Frage scheint die Mathematische zu sein. 1 ist weniger als 5, also ja!

Aber diese Antwort ist selbst aus mathematischer Perspektive nicht korrekt, wie wir gleich sehen werden. Zunächst aber einen Blick in die Realität. Denn so klar wie die Frage 1 gegen 5 ist es in Wirklichkeit nur selten.

United Airlines Flug 93

Auch 20 Jahre später dürften jedem die Bilder der Anschläge vom 11. September 2001 noch präsent sein. Neben den Flugzeugen, die im World Trade Center und dem Pentagon einschlugen, gab es noch ein weiteres entführtes Flugzeug. United Airlines Flug 93.

Vier Terroristen kontrollierten die Maschine.

An Bord waren 33 Passagiere und 7 Besatzungsmitglieder, die vor der schwierigsten Frage ihres Lebens standen. Eine Frage, die jeder Passagier für sich beantworten musste. Und damit nicht nur über das eigene Leben entscheiden musste, sondern auch über das Leben der anderen Passagiere und das Leben vieler Menschen, die irgendwo da draußen spazierten, joggen gingen, Kinderwagen durch die Gegend schoben oder einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren.

Die Frage war: zusehen oder handeln?

Es war die Frage nach dem Umstellen der Weiche.

Auf dem einen Gleis standen 44 Personen, aber wie viele auf dem anderen Gleis standen, war unklar.

Einige Passagiere standen durch ihre Mobiltelefone in Kontakt zu Angehörigen und Notrufzentralen. Sie wussten um die Gefährlichkeit der Terroristen und ihre Pläne. Aus den Gesprächen wurde klar, dass die Passagiere annahmen, dass der Tod unausweichlich sein musste. Sie haben die Weiche umgestellt und starteten einen Angriff auf die Terroristen. Man nimmt an, dass die Terroristen das Flugzeug dann abstürzen ließen.

Für den einen war es die Frage nach 44 Leben oder 0 Leben. Für den anderen die Frage nach 44 Leben gegen das der Tausenden, die da draußen waren.

Für einige war es die Frage nach dem eigenen Leben gegenüber dem der vielen anderen Passagiere. Denn wer aufspringen und einen Angriff wagen würde, stände vermutlich ganz oben auf der Todesliste.

In jedem Fall opferte jeder Einzelne sein Leben für das Leben der anderen.

Im realen Leben sind die Zahlen oft unklar. Und wie das Trolley-Problem zeigt, ist die Frage nach dem „richtigen“ Handeln selbst bei eindeutigen Zahlen ganz und gar nicht eindeutig.

Wie kommen wir zu einer eindeutigen Antwort?

Ein mathematischer Lösungsversuch des Trolley-Problems

Es stehen fünf Menschenleben gegen eines.

Wer in der Schule „5 > 1“ (5 ist größer als 1) aufschreibt, wird einen Punkt Abzug bekommen. Der Punktabzug gilt für das Vergessen der Einheit! Es handelt sich um Menschenleben.

Abgekürzt mit „ML“ wird daraus: „5 ML > 1 ML“ (5 Menschenleben sind größer als 1 Menschenleben).

Das Problem ist nun, dass ein Vergleich wie größer als oder kleiner als auf den Werten links und rechts vom Vergleich beruht. Doch dazu müssen wir zunächst den Wert der Einheit „Menschenleben“ ermitteln.

Also: Was ist ein Menschenleben wert?

Jeder Mensch hat einen Wert. Wir beschreiben diesen Wert mit dem Begriff „Würde“.

Sehen wir im Grundgesetz nach, dass im Jahre 1949 im Auftrag der drei Besatzungsmächte: USA, Großbritannien und Frankreich ins Leben gerufen wurde. Dieses Grundgesetz definiert im ersten Abschnitt die allgemeinen Menschenrechte. Im Artikel 1 wird die Würde des Menschen als „unantastbar“ beschrieben. Mathematisch würde man diesen Wert mit „unendlich“ beschreiben.

Wenn also der Wert eines Menschenlebens „unendlich“ ist, wie ist dann der Wert von zwei Menschenleben? Also 2 mal unendlich?

Antwort: Unendlich!

Das Schöne an der Mathematik ist, dass mehr als unendlich nicht geht. Unendlich + 1 = Unendlich.

Unendlich mal 2 ist gleich unendlich.

Unendlich mal 3 ist gleich unendlich.

Ein Menschenleben ist also unendlich wert. Genauso wie 5 Menschenleben unendlich wert sind.

„1 ML = 5 ML“ (1 Menschenleben ist gleich 5 Menschenleben)

Volle Punktzahl!

Opferst du deine Tochter?

Ein Mensch gegenüber fünf Menschen ist mathematisch eine 1-zu-1 Entscheidung. Das Merken wir vor allem dann, wenn noch andere Faktoren in die Rechnung spielen. Ändern wir das Beispiel doch mal. Wie würdest du folgende Fragen beantworten?

1-zu-1000

A) Auf Gleis 1 stehen 1000 Menschen. Auf Gleis 2 steht 1 Mensch.

Würdest du die Weiche umstellen und den einen Menschen opfern, um 1000 Andere zu retten?

B) Auf Gleis 1 stehen 1000 dir unbekannte Menschen. Auf Gleis 2 steht deine Tochter*.

Würdest du die Weiche umstellen und deine Tochter opfern, um 1000 Unbekannten das Leben zu retten?

*Du hast keine Tochter? Dann stelle dir deine Schwester, deinen Bruder oder deine Mutter vor.

Wenn du dich für deine Tochter entscheidest, hältst du deine Handlung für objektiv „richtig“?

Darum ist diese Frage wichtig:

In Zukunft wird diese Frage immer mehr an Bedeutung gewinnen. Wir wollen in selbstfahrenden Autos herumkutschiert werden. Wollen, dass Alexa uns den Kaffee ans Bett bringt und am besten noch die Wohnung aufräumt. Wollen, dass unsere Pakete per Drohne nach Hause kommen. Eine Welt, in der uns fliegende Autos von A nach B bringen.

Maschinen werden immer intelligenter und vor allem bekommen sie immer mehr Handlungsspielraum.

Wenn das selbstfahrende Auto nicht mehr ausweichen kann und sich entscheiden muss, ob es in eine Gruppe von 10 Personen fährt oder die Frau mit dem Kinderwagen überrollt. Wie soll sich das Auto dann entscheiden? Was ist richtig?

Maschinen kennen keine Moral.